Interview

Robert Neun, Journalist,
im Gespräch mit Sarkis Shahinian,
Gesellschaft Schweiz-Armenien

Sarkis Shahinian, Armenien ist eines der ältesten Völker auf der Erde. Wann haben Sie erfahren, dass Armenien wieder Gefahr läuft, ausgelöscht zu werden?

Die Gefahr war längst ersichtlich: Spätestens während den Tagen nach einem Scheinangriff im Juli 2020. Da wurde die militärische Elite von Aserbeidschan in Ankara vom türkischen Verteidigungsminister vorgeladen, um die türkisch-asebeidschanischen Militärmanöver vorzubereiten. Nach dem Angriff im September gegen Karabakh und Armenien war die Perspektive klar: Zuerst Berg-Karabakh und dann Armenien!

Und die drohende Gefahr, dass 120’000 Menschen darunter
30 000 Kinder verhungern – wie fühlt sich das an?

Grosse Ohnmacht. Denn die früheren sowie die aktuellen Traumata kamen wieder hoch.

Seit Anfang Juli 2023 hat Aserbeidschan Hilfsorganisationen nicht mehr erlaubt, Hilfe durch einen Korridor zu leisten. Besteht die Gefahr immer noch?

Das ist keine Gefahr mehr, sondern die Realität. Im Berg-Karabach leben noch 30 bis 40 Menschen, alles Patienten oder sehr alte, bewegungsbehinderte Menschen, die nur noch auf den Tod warten.

Armenien erinnert an den Völkermord von 1915. Passiert dieses unsägliche Schicksal wieder ?

Ja. Aserbeidschan hat dmals das Leben der dort lebenden armenischen Bevölkerung verunmöglicht, hat sie einem psychischen, mentalen Kollektivdruck unterzogen. Die UNO Völkermordkonvention identifiziert diese Verbrechen klar als Völkermord.

Welche Möglichkeiten sind Ihrer Meinung nach vorhanden, diesen unsäglichen Völkermord zu stoppen?

Es gibt zwei Möglichkeiten: Armenien sollte in der Lage sein sich zu verteidigen. Es sollten Schritte unternommen werden, militärische Allianzen zu schaffen. Parallel sollten Angriffe von Azerbaidjian und der Türkei verhindert werden Ein Friedensvertrag mit Baku ist zu unterzeichnen, ohne die territoriale Souveränität preiszugeben, mit der Verhinderung eines extraterritorialen Korridors, zurzeit von Aserbaidschan erobert.

Die Hauptstadt von Karabach ist eine Geisterstadt. Wie sind Ihre Eindrücke?

Schrecklich. Nach dem Zwangsexodus sind nur noch Kranke oder alte Leute geblieben. Die mehr als 100 000 Flüchtlinge sind nun im ganzen Armenien zerstreut. Ich habe einen Campus in der Region Vayotz Dzor besucht. Zwar ist dort alles effizient organisiert. Aber alle wollen zurück in ihre Heimat. In Artzakh sind sie geboren, haben dort gelebt, diese Zwangsentfremdung ist schrecklich.

Besteht immer noch die Gewissheit dass eine Jahrtausend alte Kultur ausgelöscht wird?

Bei wem? Bei den Armeniern bestimmt. Aber im Westen? In Russland? Bei der UNO? Das ist den Leuten und den Regierungen egal. Diese Gefahr und dieses Schicksal wird immer näher kommen.

Welchen Eindruck haben Sie von den Menschen bei Ihrer Reise nach Armenien?

Diese Menschen zeigen eine ausserordentliche Würde. Egal was man diesen Menschen antut: Die Würde bei diesen Menschen wird niemand auslöschen können!

Was haben Sie über die Kinder im Land erlebt? Wie geht es diesen?

Stellen sie sich vor: Alle Kinder, die ich gesehen habe, haben mit ihrer Hartnäckigkeit und enormer Ausdauer den Erwachsenen Mut gegeben durchzuhalten! Sie haben dem Vater oder der Mutter geholfen, sie haben ihre Aufgaben gemacht, sie haben sogar während den Schulferien am Unterricht teilgenommen.Das Leben geht weiter und wird weiter gehen.

Sarkis Shahinian ich danke Ihnen.

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